Nachdem wir im vorherigen Unterkapitel auf theoretische Grundlagen eingegangen sind und eine Lösungsstrategie erarbeitet haben, wollen wir in diesem Kapitel in medias res gehen und uns gemeinsam ein paar Übungsbeispiele ansehen. Danach solltest du perfekt vorbereitet sein, die Übungsaufgaben im Trainingsmodus selbstständig zu lösen. 

Beispiel 1

Tabea ist eine selbstbewusste, emanzipierte junge Frau. Sie ist gerade am Heimweg von einem langen Abend in einem beliebten Nachtclub. Es ist sehr spät und sie ist müde und ausgelaugt vom vielen Tanzen. Sie möchte nur in ihr Bett, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Am Weg zur U-Bahn wird sie von zwei jungen Männern unangenehm angesprochen. Sie ist wütend und fühlt sich unwohl. Was soll Tabea Ihrer Meinung nach in dieser Situation machen?

  1. Ich sage mir, dass die beiden Männer sich nur aus eigener Unsicherheit heraus so verhalten.
  2. Ich frage die beiden Männer, was ihnen einfällt, mich auf diese unangebrachte Art anzusprechen.
  3. Ich denke darüber nach, warum mich ihr Verhalten so wütend macht.
  4. Ich unterdrücke meine Wut und gehe weiter Richtung U-Bahn Eingang. 

Lösungsweg:

Wir machen uns zuerst klar, was Tabeas Ziel in dieser Situation ist. Wir erfahren, dass sie so schnell wie möglich nach Hause möchte, weil sie müde und ausgelaugt ist. Gleichzeitig gibt uns dieser Satz einen Hinweis darauf, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt wenig Ressourcen hat, um sich mit den unangebrachten Wortmeldungen der Männer auseinanderzusetzen ([…] sie ist müde und ausgelaugt vom vielen Tanzen […]). Sie wird grundsätzlich als selbstbewusst beschrieben. Man könnte also in einem anderen Setting davon ausgehen, dass sie diese Art von Kommentar unter Umständen nicht auf sich sitzen lassen würde. Letztlich erfahren wir noch, dass sie sich in der Situation unwohl fühlt und wütend ist. 

Antwortmöglichkeit A: Auch wenn diese Annahme durchaus richtig sein könnte, bringt sie diese Form der Emotionsregulation nicht ihrem Ziel näher. Es handelt sich dabei um eine Rationalisierung.

Antwortmöglichkeit B: Auch wenn diese Überlegung berechtigt ist, wissen wir, dass sie im Moment dafür zu müde und erschöpft ist. Würden wir über sie erfahren, dass sie z.B. ausgeschlafen und fit ist und ihr Ziel wäre nicht der schnellmögliche Weg nach Hause, wäre diese Antwortmöglichkeit eher wahrscheinlich. Es handelt sich bei der Überlegung am ehesten um den Regulationsmechanismus „aggressives Verhalten“ bzw. in diesem Fall eher „konfrontatives Verhalten“.

Antwortmöglichkeit C: Hierbei handelt es sich um „Reflexion der eigenen Gefühle“. Auch dieser Regulationsmechanismus bringt Tabea nicht ihrem Ziel näher.

Antwortmöglichkeit D: Auch wenn „Verdrängung“ zu den maladaptiven Regulationsmechanismen gezählt wird, kann es in einer Situation, in der eine Person als „müde und ausgelaugt“ beschrieben wird, hilfreich sein. Außerdem wird hiermit Tabea Ziel in der beschriebenen Situation bestmöglich verfolgt und wir kreuzen somit Antwortmöglichkeit D an. 

Beispiel 2

Jana ist eine ambitionierte, selbstbewusste Medizinstudentin. Nach vier Semestern Studium, in dem sie sich sehr viel theoretisches Wissen aneignen konnte, hat sie nun ihr erstes Praktikum im Krankenhaus begonnen. Am Anfang der zweiten Woche kommt sie ausgeschlafen zum Stationsstützpunkt und wird gleich von der diensthabenden Ärztin gebeten, eine sehr dringliche Blutabnahme zu erledigen. Sie hofft, dass sie die Blutabnahme gleich schafft, weil sie in der ersten Woche dabei immer wieder Schwierigkeiten hatte und das Team außerdem hohe Ansprüche an sie stellt. Leider gelingt es ihr auch beim dritten Versuch nicht eine Vene zu treffen. Jana ist frustriert und verunsichert. Was sollte sie Ihrer Meinung nach in dieser Situation machen? 

  1. Ich sage mir mehrmals vor, dass ich es schaffen kann.
  2. Ich akzeptiere, dass ich diese Blutabnahme nicht geschafft habe und nehme mir vor, jede weitere Möglichkeit mich zu verbessern, wahrzunehmen.
  3. Ich unterbreche die diensthabende Ärztin bei ihrer Arbeit und bitte sie, die Blutabnahme statt mir zu machen.
  4. Ich werde beim nächsten Versuch an etwas Schönes denken, um mich von meiner Frustration abzulenken.

Lösungsweg:

Zuerst versuchen wir wieder herauszufinden, was das Ziel von unserer Protagonistin ist. Wir erfahren, dass eine Blutabnahme dringlich gemacht werden muss. Jana’s Ziel sollte es also sein, den schnellstmöglichen Weg zu wählen, die Blutentnahme zu erledigen. In einem anderen Satz wird gesagt, dass sie ausgeschlafen auf die Station kommt. Wir können also davon ausgehen, dass sie ausreichend psychische Ressourcen hat, ihre Frustration und Verunsicherung adäquat zu regulieren.  

Antwortmöglichkeit A: Bei dieser Art der Regulation handelt es sich um „positive Selbstbekräftigung“. Wir erfahren über Jana, dass sie ihr erstes Praktikum hat und bereits in der Vorwoche Schwierigkeiten bei der Blutabnahme hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim vierten Mal erfolgreich ist, wird durch diese Beschreibung zusätzlich reduziert. Dieser Lösungsansatz wird sie ihrem Ziel – die Blutentnahme zu erledigen – vermutlich nicht am besten näherbringen.

Antwortmöglichkeit B: Auch wenn „Akzeptanz“ generell ein guter Regulationsmechanismus ist, mit dieser Art von Emotionen umzugehen, bringt sie diese Antwortmöglichkeit nicht ihrem Ziel weiter, die Blutentnahme zügig zu erledigen. 

Antwortmöglichkeit C: Bei dieser Antwortmöglichkeit wird „Rückzug“ mit „lösungsorientiertem Handeln“ kombiniert. Wir erfahren über Jana, dass sie eine selbstbewusste Studentin ist. Wir können also davon ausgehen, dass sie sich traut, Hilfe zu holen, obwohl die Erwartungen an sie hoch sind und sie eingestehen muss, dass sie die Blutabnahme nicht geschafft hat. Ihr ist bewusst, dass die Blutabnahme so schnell wie möglich durchgeführt werden muss, und die Ärztin um Hilfe zu bitten ist hier der schnellste Weg zum Ziel.

Antwortmöglichkeit D: Nachdem wir aus dem Text wissen, dass Jana noch nicht so viel Erfahrung beim Blutabnehmen sammeln konnte, wird sie ein weiterer Versuch ihrem Ziel eher nicht weiterbringen. Zudem wird „Ablenkung“ ihren Erfolg dabei nicht wahrscheinlicher machen, da man sich bei einer Blutabnahme auf die Tätigkeit konzentrieren sollte.